Die Autorin
Emmi Pikler
Als Hausärztin konnte sie die Eltern, die sich von ihr beraten ließen, dafür gewinnen, die selbstständige Aktivität ihrer Kinder von Geburt an überhaupt erst einmal wahrzunehmen, sich an ihr zu freuen und ihnen die entsprechende Umgebung dafür zu schaffen. Sie half den Müttern, auch die leisen Zeichen und Regungen zu verstehen, mit denen schon ein Neugeborenes, bevor es schreit, seine Empfindungen äußert. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der Eltern auf ein bei Kindern und Kranken leicht übersehenes Grundrecht des Menschen, das darin besteht, sich mit ihm über das, was mit ihm geschieht, zu verständigen. Das heißt beim Säugling, ihn mit Worten und behutsamen Bewegungen auf die nächste Handlung vorzubereiten. Dadurch kann er sich allmählich orientieren und die Mutter immer besser verstehen, während sie ihn versorgt. Auch wenn er noch zappelt und strampelt, achtet er aufmerksam auf alle Vorgänge der Pflege und freut sich, mitzuhelfen. Selbst wenn er später beim Wickeln nicht mehr auf dem Rücken liegen bleibt und sich eigenwillig und seinem Entwicklungsniveau entsprechend bewegt, stört das nicht ihr Zusammensein und die gute Beziehung. Sie ist für Emmi Pikler eine Grundbedingung der eigengesetzlichen Bewegungsentwicklung des Kindes.
Die Pflege des Säuglings, mit ihren sich wiederholenden Handlungen, erschien ihr zur Ausbildung einer tragfähigen Beziehung zwischen Eltern und Kind geeigneter als das gemeinsame Spiel. Bei der täglich mehrmals notwendigen Pflege lernt das Kind zudem etwas, was es nur vom Erwachsenen lernen kann, denn für ein freundliches und rücksichtsvolles Verhalten braucht es ein Vorbild. Sich zu bewegen und zu spielen hingegen lernen Säuglinge und Kleinkinder auch ohne unsere unmittelbare Hilfe und Anregung, das hatten ihre Beobachtungen in den Familien erwiesen.
Emmi Pikler vertraute darauf, dass ihre langjährigen Erfahrungen sich auch in Verhältnissen bewähren würden, in denen sich Säuglinge bis dahin kaum normal entwickeln konnten. 1946 gründete sie, im Wissen um die Voraussetzungen einer kindgemäßen Entwicklung, ein Säuglingsheim in Budapest in der Loczystraße, das dann als Loczy bekannt geworden ist. Sie hat es 33 Jahre lang geleitet und von Anfang an verstanden – unter anderem durch die Auswahl und sorgfältige Anleitung der Pflegerinnen – eine Atmosphäre der Geborgenheit zu schaffen, in der Säuglinge ohne die üblichen Anstaltsschäden aufwachsen.
Emmi Pikler hatte sich einer Aufgabe angenommen, deren Dringlichkeit bis dahin nur vereinzelt gesehen worden war. 1931 hatte Elfriede Hengstenberg aufgrund der Erkenntnisse Eisa Gindlers und Heinrich Jacobys darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, die naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung zu erforschen, um dem Kind seine ursprünglichen Fähigkeiten und Kräfte zu erhalten (HENGSTENBERG, 1931).